Das Val Seriana im Bergamasker Land war seit jeher durch religiöse Malerei geprägt. Dank zahlreicher einheimischer Künstler, aber auch dank etlicher Wanderkünstler, die in Bergamo ihre Wahlheimat gefunden haben, konnte sich die religiöse Malerei im Val Seriana und im Val di Scalve eindrucksvoll entfalten. Beeindruckende Beispiele findet man heute noch in den Bergamasker Tälern. Dazu gehören zweifelslos die Gemälde von Tiepolo in Rovetta, von Moroni in Parre sowie von Tintoretto und Palma il Vecchio in Alzano Lombardo.

Madonna mit dem Kind und den Heiligen von Giovan Battista Moroni, 1565
Madonna mit dem Kind und den Heiligen von Giovan Battista Moroni, 1565

Das Altarbild von Giovan Battista Moroni

In Parre, einem rund 2.700-Seelen-Örtchen in den Bergamasker Alpen steht im Zentrum die Pfarrkirche S. Pietro (Chiesa di San Pietro) mit ihrem Altarbild „Madonna mit Kind und den Heiligen Petrus, Paulus und Johannes dem Evangelisten“ (Madonna col Bambino in trono e i santi Pietro, Paolo e Giovanni Evangelista), das 1565 von Giovan Battista Moroni gemalt wurde und im Jahr 1575 als „Satis Pulcra“ in den Dokumenten verzeichnet wurde.

Die Farben des Gemäldes auf Leinwand sind klar, jedoch nicht brillant, um naturalistischere Effekte zu erzielen. Das Gemälde erinnert durch seine Natürlichkeit an die Manier Morettos.

Die Szene zeigt das Jesuskind, sich aus den Armen seiner Mutter beugend, um dem Heiligen Petrus mit dem Bischofsstab und der großen Kappe die Schlüssel zu übergeben.

Der heilige Paulus hingegen wird mit Schwert und Buch dargestellt. Hinter den Schultern des heiligen Petrus ist das Gesicht des heiligen Johannes des Evangelisten zu sehen.

Das Paradiesbild von Giambattista Tiepolo

Gemälde von Giambattista Tiepolo: Die Herrlichkeit der Heiligen, Paradiesbild mit der heiligen Madonna auf der Wolke
Paradiesbild von Tiepolo, 1734

Unsere Reise durch die Werke der großen Maler des Val Seriana führt uns zur Pfarrkirche Allerheiligen in Rovetta (Chiesa di Tutti i Santi), in der das 3,70 Meter hohe und 2,45 Meter lange Altarbild der „Herrlichkeit aller Heiligen“, auch „Paradiesbild“ genannt, aufbewahrt wird. Dieses ist hinter dem Hochaltar angebracht und wurde 1734 von Giambattista Tiepolo auf Wunsch von Andrea Fantoni (Rovetta 1659 – 1734 ebenda) gemalt. Fantoni gilt als einer der bedeutendsten Bildhauer und Schnitzer im Tal. Er fertigte mit großem Geschick und Phantasie Beichtstühle, Sakristeischränke, Kanzeln und weiteres Kircheninventar an. Er war vor allem für die reichhaltige Kirchenausschmückung in Bergamo und der Umgebung von Bergamo bekannt.

Das „Gemälde des Paradieses“ von Tiepolo zeichnet sich durch die vertikale Komposition aus, bei der die Figur des heiligen Petrus im Vordergrund steht. Petrus blickt mit seinem starren Blick auf den Betrachter des Bildes und zieht somit dessen Aufmerksamkeit auf sich.

Hinter ihm steht der Heilige Narno gebeugt und konzentriert im Gebet, der somit die dramatische starre Wirkung noch unterstreicht. Darüber im Himmel beobachtet eine Gruppe von Heiligen die Szene. Ein schwebender Engel, der sich an einem aus den Wolken herausragenden Tuch festhält, lässt durch seinen leichten Flug das Bild der Jungfrau, die mit dem Licht zu verschmelzen scheint, noch realistischer erscheinen. Das Altarbild von Tiepolo gilt als eines der wichtigsten Werke der frühen Reifezeit des venezianischen Künstlers.

Das Gemälde „San Cristoforo“ von Jacopo Tintoretto

Der heilige Christophorus mit dem kleinen Christus als Kind auf der Schulter, Gemälde von Tintoretto
„San Cristoforo“ von Jacopo Tintoretto, um 1557

Im Museum für sakrale Kunst San Martino in Alzano Lombardo (Museo d’arte sacra San Martino) ist im ersten Stockwerk im vierten Saal das Gemälde „San Cristoforo“ von Jacopo Tintoretto (Venedig 1518/1519-1594) ausgestellt. Ursprünglich stammt das Bild wahrscheinlich aus der Sammlung Brera, in der die während der napoleonischen Unterdrückung beschlagnahmten Werke aufbewahrt wurden, und wurde um 1820-1821 von der Fabbriceria San Martino erworben.

Tintorettos Gemälde zeigt den heiligen Christophorus, der im Wasser versinkt. Auf seinen Schultern sitzt ein Kind, das sich, nachdem der Heilige das gegenüberliegende Ufer erreicht hat, als Christus entpuppt. Die Szene stellt damit die Episode der Bekehrung des heiligen Christophorus dar.

Die Madonna, die im Himmel auf einer Wolke thront, weist den gleichen Farbton der Kleidung wie das Kind auf. Am unteren linken und rechten Rand des Gemäldes sind zwei reich gekleidete Würdenträger zu sehen. Sie stammen vom venezianischen Dogenhof, der das Werk in Auftrag gegeben hatte. Sie sollen die Szene bezeugen.

Die energische Pinselführung und die starke Dramatik der Szenen gehören zu den typischen Elementen des venezianischen Meisters. Das Gemälde wird wegen der Dramatik der Reifephase des Malers zugeschrieben und kann daher auf die Zeit um 1575 datiert werden.

Das Altarbild „San Pietro Martire“ von Palma il Vecchio

Unweit des Museums für sakrale Kunst San Martino in Alzano Lombardo befindet sich eines der schönsten Werke des bergamasker Künstlers Palma il Vecchio (Jacopo Negretti 1618-1648) in der Kirche San Pietro (Chiesa di San Pietro). Das große Altarbild „l’Uccisione di san Pietro martire“ (Kopie, das Original wird in dem unweiten Museum aufbewahrt) wurde von Palma il Vecchio für die Kirche der Dominikaner von San Giovanni e Paolo, ein Auftrag, den Tizian ebenso erhielt, in Venedig entworfen.

Die eigentliche Neuheit ist jedoch der revolutionäre Aspekt des Werkes: Zum ersten Mal steht ein Martyrium im Mittelpunkt eines Altarbildes im Bergamasker Land und damit im Val Seriana. Damit trägt dieses zur Entstehung des modernen Altarbildes bei.

Für Lorenzo Lotto, ein Freund von Palma, war das Altarbild von höchstem Interesse. Und so überzeugte er den Architekten Isabello (derselbe, der auch die Kirche Santo Spirito in Bergamo entworfen hatte), das Bild in die Kirche San Pietro zu integrieren, die er in Alzano fertigstellte.

Heute ist das Altarbild von Palma il Vecchio das einzige, das überlebt hat. Das gleiche Bild von Tizian, der den gleichen Auftrag erhielt, wurde bei einem Brand zerstört.

Das Altarbild von Palma ist als das erste große Zeugnis der Anfänge des Protestantismus in Norditalien anzusehen.