Die Faszination Berge kann man nicht erlesen, man muss sie spüren. Wer einmal in den Bergen war, der weiß, wie abgeschieden man dort sein kann. Die Stille wird zum ständigen Begleiter, nur die Vögel und der Wind stimmen hier und dort einen Ton an.
In Italien gibt es zahlreiche abgeschiedene Bergdörfer, in denen noch das Handwerk vor Jahrzehnten praktiziert wird, in dem das Mobiltelefon mit seinen ganzen neuartigen Apps noch nicht angekommen ist und wo die Natur noch der Haupternährer darstellt.
Die schönsten Bergdörfer Italiens
Ingria (TO) | Rimella (VC) |
Piedicavallo (BI) | San Gottardo (VC) |
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Rossa (VC) | Triora (IM) |
Rosazza (BI) | Aliano (MT) |
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Ernährung in den Bergdörfern
Da verwundert es weniger, dass dort die Ernährung hauptsächlich aus dem besteht, was die Natur dort eben so hergibt. Viehhaltung in Form von Kühen, Schafen und Ziegen dominiert. Daraus wird Butter, Käse und Joghurt hergestellt – für den Eigenbedarf und für den Verkauf im Tal. Kräuter werden zum Teil zu Likören verarbeitet. Ein Beispiel hierfür ist der Genepi. Übrigens sehr zu empfehlen. Er besteht aus den Pflanzen Artemisia umbelliformis, Artemisia genipi oder Artemisia glacialis und ist vor allem im Piemont und im Aostatal zu finden. Aus Kräutern werden zudem noch Soßen, Salate und Heiltinkturen hergestellt. Beeren hingegen dienen vorrangig zur Marmeladenherstellung, aber auch für die Herstellung von Likören. Das Brot wird selbst gebacken, zumeist aus
Kastanienmehl. Kastanien sind und waren eine der Hauptnahrungsquellen der alpinen Bewohner. Aus Kastanien wurde so gut wie alles hergestellt. Ob als Mehl, Brot, Kuchen oder Suppe – Kastanien durften nicht fehlen. Die Polenta, Maisbrei, ist noch heute das Hauptgericht der italienischen Bergbewohner. Die Beilage zur Polenta wird vor allem je nach Jahreszeit gewählt. Häufig sind es Pilze, Wild, Käse (Polenta concia), Wurst oder Paprika. Eben alles, was in den Bergen gefunden oder verarbeitet werden kann.
Mein Favorit ist die Polenta mit Paprika, in Italien als Polenta peperonata genannt. Ich mag sie aber auch nur mit gegrillter Paprika. Im italienischen Bergdorf Rassa (Provinz Vercelli) kann man im Rifugio Heidi (ab Parkplatz rund 15 Min. zu Fuß bergauf) Polenta mit unzähligen Beilagen probieren. Die Portionen sind so reichhaltig, dass man auf ein Antipasti verzichten sollte. Eine vorherige Anmeldung ist zwingend erforderlich.
Alpine rurale Architektur
Die alpine rurale Architektur ist vor allem durch Holz, Granit, Natursteinen und Trockenmauern geprägt. Zum Einsatz kommt selten Beton, vielmehr sind Mörtel und Sand vorrangiges Baumaterial. Beim Holz kommt oftmals Lärchen- und Fichtenholz zum Einsatz. Die Dächer wurden in Italien früher oftmals aus Ginster und Farn gedeckt, heute sieht man immer öfter Schiefer, Granit und Blech. Insgesamt sind die Decken eher niedrig gehalten, die Fenster klein. Grund dafür ist vor allem die Warmhaltung der Räumlichkeiten im Winter, sofern auf der Alpe verblieben wurde. Die meisten Alpebewohner kamen jedoch nur saisonal hinauf und trieben dann ihr Vieh im Herbst wieder bergab. Wer oben blieb hatte mit einem anderen Problem oftmals zu kämpfen: Der Kälte. Ein gut ausgestattetes gefliestes Bad mit Innentoilette gab es nicht, wenn dann nur einen Toilettenstuhl oder dergleichen. Geschweige denn eine Badewanne. Gewaschen wurde sich draußen oder in einer separaten kleinen
Hütte. Dafür wurden Regentonnen aufgestellt. Die Toilette bestand oftmals nur aus einer Trockentoilette, besser bekannt auch als Plumpsklo. Nicht selten froren die Wasserleitungen ein. Die Isolation der Leitungen war hier demnach ein wichtiges Unterfangen. Wenn die Wasserleitungen einfroren, dann stellte dies ein enormes Problem dar. Denn ohne Wasser, kein Leben. Geheizt wurde mit Holz. Gekocht ebenso in alten Holzöfen, die gleichzeitig den oftmals nur einzigen Raum heizten. Die Beleuchtung bestand früher aus Kerzen oder Öllampen, denn Strom gab es damals noch nicht in den Bergen. Das Leben war hart dort oben, jedoch war die Freiheit in der Natur grenzenlos. Heute kann man sich natürlich modernen fortschrittlichen Methoden und Baumaterialien bedienen, früher gelang jedoch häufig die Technik in hohen Lagen an ihre Grenzen.
Leben im Bergdorf
Der Bau der Häuser hängt vor allem von der umgebenden Natur ab. Allen gemein ist jedoch, dass in früheren Zeiten monofamiläre Bauten zu einer Alpe zusammengefügt wurden. Dies sieht man heute noch wunderbar, wenn man zu einer Alpe hinaufsteigt. Zumeist steht dort nicht nur ein Haus, sondern mehrere Häuser, die jedoch allesamt die Alpe bewirtschafteten. Häufigste Bewirtschaftungsform stellte dabei die Ziegen- und Schafhaltung dar. In nicht allzu hohen Lagen auch Kühe.
Die Kinder blieben, sofern sie schulpflichtig waren im nächstgelegenen Bergdorf und stiegen nur zu den Ferien hinauf oder, was häufig auch der Fall war, gingen sie nicht in die Schule. Stattdessen halfen sie ihren Eltern, die Alpe zu bewirtschaften.
Jedes Bergdorf hatte eine kleine Schule aufzuweisen. Wenn nicht, dann zumindest in dem nächsten Dorf. Ebenso eine Kirche. Es gab häufig auch einen kleinen Laden, der die Menschen mit Lebensmitteln versorgte. Wie mir bereits etliche alte Leute erzählten, sammelte immer eine Person die Wünsche der Anwohner aus dem Dorf und fuhr in die nächste Stadt. Dort kaufte er alles ein und brachte es in den Laden oder gab es direkt bei den Leuten ab. Oftmals handelte es sich bei der Person um den Ladenbesitzer. Eine Post war rar, eine Bank weit entfernt. Demnach erledigte der Ladenbesitzer zumeist auch gleichzeitig die Postgeschäfte. Brachte also Briefe zur Post oder holte welche ab.
Die Abgeschiedenheit
Ich habe einmal mit einer schon 96-jährigen Frau aus San Gottardo im Piemont gesprochen. Sie erzählte mir in einem Dialekt aus Piemontesisch, Italienisch und Walserdeutsch, dass sie nie San Gottardo in ihrem Leben verlassen habe. Sie sei hier geboren, in Rimella zur Schule gegangen und habe in San Gottardo weiter bergauf eine Alpe bewirtschaftet. Sie erzählte mir ganz stolz und mit ein wenig Wehmut, dass sie jeden Weg, jeden Baum und jedes Geräusch kenne. Ehrfürchtig hörte ich ihr zu, auch wenn ich nicht alles sofort verstand, denn der Mix aus den Dialekten erschwerte das Verständnis. Sie jedoch wiederholte stets ihre Wörter und Sätze mit einer immensen Geduld, wenn sie bemerkte, dass ich es nicht gleich verstand. So verging mindestens eine Stunde und man merkte ihr an, dass sie hocherfreut war, einer fremden Person, die nicht aus San Gottardo stammte, ihre Weisheiten und ihr Leben mitzuteilen.
Im Prinzip führt die Abgeschiedenheit der Bergdörfer zu Lebensweisen, die sich von anderen Regionen abgrenzen. Man nenne hier nur als Beispiel Barbiana auf den umliegenden Bergen von Florenz, wo ein neues Schulsystem dank des Pfarrers Don Lorenzo Milani eingeführt wurde. Man nenne auch an dieser Stelle das Bergdorf Aliano in der Basilikata, dessen Lebensweise und Geheimnisse
eindringlich von Carlo Levi in seinem Buch „Christus kam nur bis Eboli“ schilderte. Es ist gerade durch die unterschiedlichen Naturverhältnisse und der Abgeschiedenheit eine komplett andere Welt verstanden. Auf der einen Seite San Gottardo in den piemontesischen Alpen, reich an Wasser, Wiesen, Wälder und Buschwerk. Eisige Kälte im Winter, brennende Sonne im Sommer, jedoch nie ganz hitzig heiß. Gegessen werden vornehmlich Polenta, Wurst und Kastanien. Auf der anderen Seite Aliano, kein Wald, kein Buschwerk, lediglich hier und da mal ein Strauch. Hitzige Sonne im Sommer und kein richtiger Schatten. Im Winter gibt es kaum Minusgrade. Gegessen werden vorrangig Pasta, Paprika und Wurstvarianten. Jedoch eher leichte Küche. Obwohl es beides Bergdörfer sind, entscheiden doch die Lage, die Witterungsverhältnisse und die Naturgegebenheiten über die Lebensweisen und -formen der Einwohner.