Nachdem in der karolingischen Baukunst das Westwerk und die Doppelchörigkeit als zwei wesentliche Neuerungen gegenüber der antiken, frühchristlichen und byzantinischen Baukunst eingeführt wurden, so wurde in der ottonischen Baukunst insbesondere im Kirchen- und Dombau an den Veränderungen und Neuerungen aus der karolingischen Zeit angeknüpft und diese erweitert. Daraus entstanden weitere Neuerungen, die sich vor allem in der Michaeliskirche in Hildesheim gut erkennen lassen. In Italien ist die ottonische Kunst im Norden des Landes anzutreffen. Wichtige Beispiele ottonischer Kunst in Italien sind das Stuckrelief des Altaraufbaus von Civate in der Provinz Lecco, die Kirche Santa Maria Maggiore in Lomello (1025-1040), die Krypta der Kathedrale von Ivrea und die Abtei von Pomposa mit ihrem Glockenturm des Magisters Deusdedit (1063).

Die Krypta der Kathedrale von Ivrea gilt als ottonisches Meisterwerk
Die Krypta der Kathedrale von Ivrea gilt als ottonisches Meisterwerk

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Die ottonische Kunst in Italien

Eines der wichtigsten Vertreter der ottonischen Kunst in Italien ist die Kirche Santa Maria Maggiore in Lomello (1025-1040). Sie ist dreischiffig mit einem Querschiff, deren Originalität in den großen Querbögen und in der Verzierung der Wände des Kirchenschiffs liegt.

Die Krypta der Kathedrale von Ivrea, die zwischen 969 und 1002 errichtet wurde, stellt das einzige Überbleibsel dieses Zeitraumes dar. Hier finden wir die typischen wunderschönen Pfeiler und Säulen der ottonischen Zeit. Ein ähnliches Beispiel findet sich in der Kirche von Sant’Abbondio in Como.

Die Abtei von Pomposa, die 1026 geweiht wurde, scheint den Übergang zwischen ottonischer und romanischer Kunst einzuläuten. Es wird der Abtei ein Portikus mit Skulpturen hinzugefügt. Der Glockenturm des Magisters Deusdedit (1063) mit seiner quadratischen Grundfläche, seinem massiven Mauerwerk und seinen in jedem Stockwerk befindlichen Reihe von Hängebögen, zwischen denen sich immer größere Fenster öffnen, stellt ein frühes Beispiel für eine Bautypologie dar, die sich in ganz Italien ausbreiten wird.

Ebenso zur ottonischen Kunst zuzuordnen sind die Fresken in der Apsis der Kirche San Vincenzo in Galliano in der Provinz Como mit Episoden aus dem Leben des Heiligen Vinzenz und Ezechiel und dem Erzengel Gabriel, der für die Gläubigen Fürsprache hält (1007-1008). Diese Fresken lassen ein plastisches Empfinden mit den „neuen“ Akzenten der ottonischen Künstler erkennen.

Die Fresken des Baptisteriums in Novara mit den Heiligen und Propheten im unteren Register und acht Szenen aus der Apokalypse im oberen Register, stellen ebenso ein wichtiges Beispiel ottonischer Kunst dar.

Plastischer wird es in Aosta in der Kathedrale und der Stiftskirche von Sant’Orso. Hier sind die Figuren bereits plastischer dargestellt (frühes 11. Jahrhundert).

In Civate können ottonische Fresken einerseits in der Kirche San Calogero und andererseits in der Kirche San Pietro al Monte bewundert werden.

Die Michaeliskirche in Hildesheim

Die Michaeliskirche in Hildesheim – ein Schmuckstück ottonischer Baukunst – ist eine dreischiffige und nach Westen ausgerichtete doppelchörige Basilika, mit zwei Querhäusern, die auf das Jahr 993 zurückgeht.

Die Vierung

Sie weist durch vier Bögen begrenzte Vierungen auf, sprich der Teil des Kirchenraumes, in dem sich Lang- und Querhaus kreuzen, sowie die eingeschobenen Räume zwischen Apsis und Vierung. Über jede der Vierung erhebt sich ein quadratischer Vierungsturm.

Der quadratische Schematismus

Polygonale Treppentürme mit zylindrischen Aufsätzen stehen an den Stirnseiten der Querhauswände. Die komplette Anlage ist in ihrer Bauweise mit vertikalen (Turmgruppen) und horizontalen Bauteilen (Mittelschiff, Querhäuser) ausgewogen, nicht nur, wegen der gleichartigen äußeren Betonung des Ost- und Westteils durch die Vierungstürme, sondern auch wegen der klaren Maßverhältnisse, die in der Folgezeit in der Architekturgeschichte quadratischer Schematismus genannt wurde.

Gemeint ist das Quadrat der Vierung, das als grundlegende Maßeinheit für die Architektur und Raumaufteilung zugrunde gelegt wurde. Das Querhaus und Langhaus sind Vielfache der Vierung. Im Langhaus liegt das Quadrat dreimal zugrunde.

Der Stützenwechsel

Betont werden die Vierungen im Langhaus durch vier quadratische Pfeiler, zwischen denen je zwei runde Säulen mit Würfelkapitellen mit Arkaden platziert worden sind, was wiederum als niedersächsischer Stützenwechsel bezeichnet wird und die wohl mit erfolgreichste Erfindung der ottonischen und romanischen Kunst darstellt

Der Innenraum

Der Innenraum wird durch den Stützenwechsel und den verschiedenfarbigen Steine der Bögen belebt. Hinzu kommt das Verhältnis der Schiffsbreite zur Höhe von 1:2 sowie die strenge Ordnung der Gesamtanlage, die äußerlich durch die vertikalen Turmgruppen und dem horizontalen Mittelschiff und Querhäusern in einen vollkommenen Ausgleich gipfelt.

Das Westwerk

Das Westwerk, nicht als solches ausgebildet wie bei der karolingischen Aachener Pfalzkapelle, sollte jedoch als alter Gedanke durch das Portal im Westen trotz der Doppelchörigkeit beibehalten werden, wie aus dem Webauftritt der Michaeliskirche zu entnehmen ist.

Die Bronzetüren

Die Bronzetüren der Kirche, die ebenso bei der Aachener Pfalzkapelle als Ausstattungsmerkmal auftreten, und die Bronzesäule aus der Michaeliskirche gelten als außergewöhnliche Werke der ottonischen Gießkunst von etwa 1020 und werden im Dom aufbewahrt.

Die mit klaren Strukturen und Bauelementen versehene Kirche repräsentierte die Ordnung, Vollkommenheit sowie Verherrlichung Gottes, die die neue Epoche der Romanik einläutet.

Das Schaugrab des Heiligen Bernwards

In der Krypta im Westchor, die sich genau unter dem Zentrum des Westchors mit dem Schaugrab des Heiligen Bernwards befindet, liegt das eigentliche Grab des Heiligen Bernwards. Dieses bestimmte Bernward bereits 1015, als er die Krypta weihte. Sie ist von einem Umgang umgeben, welcher als Vorläufer der Chorumgänge ab dem 11. Jahrhundert angesehen werden kann.

Die bronzene Bernwardstür

Die um das Jahr 1015 datierte zweiflügelige bronzene Bernwardstür als Rahmen-Füllungstür nach römischen Vorbild im Westportal des Hildesheimer Doms gilt als erster deutscher plastischer Bildzyklus und weist gegenüberstehende biblische Szenen in concordantia veteris et novi testamenti auf. Die Tür wurde nach Bischof Bernward von Hildesheim (983–1022) benannt und gilt als eines der Hauptwerke der ottonischen Kunst.

Die dargestellten 16 Szenen

Die dargestellten 16 Szenen des heilsgeschichtlichen und typologischen Bildprogramms aus dem Alten Testament (auf der linken Tür) und dem Neuen Testament (auf der rechten Tür) sind anders als bei der karolingischen Kunst gestaltet.

Vorherrschend sind wenige aber stets in Beziehung zueinander ausgearbeitete nahezu vollplastische Figuren, deren Hintergrund in Form von Pflanzen (hauptsächlich im linken Flügel) und Architektur (im rechten Flügel) als Flachrelief ausgearbeitet ist.

Reiche Hintergrundausschmückungen fehlen, sie sind vielmehr nur dann präsent, wenn der Kontext der Szene dies unbedingt zum Verständnis verlangt.

Eine Besonderheit ist der Reliefstil, bei dem die Figuren nicht gleichmäßig aus der Fläche heraustreten, sondern vielmehr sich aus dieser herauslehnen.
Auf der linken Seite der Tür in absteigender Reihenfolge sind Szenen des Menschen in zunehmender Entfernung zu Gott wie die Schöpfung, der Sündenfall und der Brudermord aus dem 1. Buch Mose dargestellt. Rechts hingegen sind Geschichten aus dem Leben Jesu Christi abgebildet.

Als mögliche Vorbilder könnten die spätantiken Türen von Sant’Ambrogio in Mailand in Frage kommen aber auch die Türen der Aachener Pfalzkapelle (um 800), die des Marktportals des Mainzer Doms oder aber auch die um 430 entstandenen spätantiken Holztüren von Santa Sabina in Rom.

Die figürliche Darstellung weist keine individuellen Physiognomien wie im Mittelalter üblich auf, vielmehr handelt es sich um teilweise wiederholende stilisierte Typen mit überproportional großen, ovalen Gesichtern, übergroßen, mandelförmigen Augen in flachen Augenhöhlen und scharfkantigen Brauenbogen, die in der ottonischen Epoche vorherrschend waren. Die gesamten Szenen weisen eine teilweise sehr ausdrucksstarke Mimik und Gestik auf.

Die Aachener Pfalzkapelle

Im Gegensatz zur Michaeliskirche in Hildesheim steht die Aachener Pfalzkapelle, ein Meisterwerk der karolingischen Epoche und Karl des Großen oder besser gesagt seinen Baumeistern.

798 war die Achener Pfalzkapelle beinahe fast fertiggestellt und sollte in Konkurrenz zu Rom und Konstantinopel treten und sich außerdem mit Ravenna messen können, das inzwischen zur Residenz des byzantinischen Exarchen geworden war.

Karl der Große vertrat also die Absicht, wie der italienische Historiker Alessandro Barbero eindrucksvoll schildert, den alten römischen Kaisern, den gotischen Königen von Italien, den zeitgenössischen byzantinischen Herrschern und sogar den Päpsten nachzueifern. Er wollte eine Residenz, die es mit dem kaiserlichen Palast in Byzanz und den Papstpalast aufnehmen konnte.

Dazu engagierte er den fränkischen Architekten Odo von Metz, der sich wiederum Rat von Gelehrten aus der höfischen Akademie holte. Ihr mathematisches Wissen, welches durch die unterschiedliche Herkunft der einzelnen Personen geprägt war, erwies sich in der Bauphase als sehr hilfreich.

So floss beispielsweise das Wissen des Langobarden Paulus Diaconus in den Bau mit ein, denn dieser war in seiner Zeit ein Universalgelehrter, der sich insbesondere mit der byzantinischen Architektur auseinandersetze. So kam es, dass die Aachener Pfalzkapelle in ihrer Struktur und ihrem Erscheinungsbild zu einem aedificium von höchster Baukunst unterschiedlicher Baustile und Epochen emporwuchs, das sich in seiner Architektur und seinem Sinnbild komplett von der Michaeliskirche in Hildesheim unterschied.

Es wurde zum bedeutendsten architektonischen Beispiel für die karolingische Renaissance – sicherlich ganz im Sinne von Karl dem Großen, wo sich im Gegensatz zur Michaeliskirche – die eine Vollkommenheit, Ordnung und Verherrlichung Gottes repräsentiert – römisches, byzantinisches und kaiserliches Gedankengut vermischt.

Das Hauptgebäude

Das ursprüngliche Hauptgebäude der Aachener Pfalzkapelle ist in einem Thronsaal und einer Kapelle gegliedert, beide durch einen hölzernen Bogengang verbunden, in dem man eine Reiterstatue Theoderichs aus Ravenna 801 aufstellte.

Somit sollte das Roma nuova bekräftigt werden, sprich das „neue Rom“, das Zentrum der Macht. Die achteckige Kapelle hatte Symbolcharakter, denn sie wurde durch das Deckenmosaik des Christos Pantokrator beherrscht. Das sogenannte Chrysotriklinium, dem goldenen Prunksaal im Mittelpunkt des kaiserlichen Palastes in Konstantinopel, war die wichtigste und signifikanteste Inspiration von Karl dem Großen, das in der Michaeliskirche in Hildesheim komplett fehlt. Das Bauwerk, welches als Thronsaal und Kirche fungierte, fand sich in ähnlicher Gestalt in Ravenna in der San Vitale Kirche wieder.

Ravenna diente als Vorbild

Karl der Große, der selbst nicht nach Konstantinopel reiste, schickte demnach einige seiner Architekten nach Ravenna, die mit reichlich Abmessungen und Plänen zurückkehrten. Die Kirche in Ravenna diente als Vorbild seiner Pfalzkapelle, nur, dass er den Thron nicht wie die byzantinischen Kaiser nach Osten ausrichteten, um sich selbst zu vergöttlichen, wie Karl der Große in den Libri Carolini bereits dieses Vorgehen als Gottlosigkeit beschrieb, sondern nach Westen, um als Vermittler zu fungieren.

Die Ausrichtung des Thrones

Unter dem Deckenmosaik stellte man den Thron des Herrschers also in einsamer Höhe nach Westen ausgerichtet und von den Sonnenstrahlen erhellt im oberen Umgang der Pfalzkapelle auf. Diese Position ermöglichte es Karl dem Großen aus Sicht des Betrachters als Mittler zwischen Gott und Gemeinschaft zu fungieren. Den Altar setzte er nach Osten, ebenso erhöht, in einen vorgelagerten rechteckigen Altarraum, der später in die gotische capella vitrea zur Präsentation der Heiligtümer und Reliquienschreine umgewandelt wurde.

Die Kapellen

Um die achteckige Kapelle mit der imposanten Kuppel, dem Oktogon, wurde ein sechzehneckiger weiterer Kapellenbau konstruiert. Auf westlicher Seite schließt sich dem Sechszehneck und dem innenliegenden Oktogon ein massives Gebäudeteil mit zwei Treppentürmen und einer Portalnische an, das sogenannte Westwerk oder auch Westbau genannt. Dieses Architekturelement war zukunftsweisend für seine damalige Zeit.

Die harmonische Zahlenkonstellation

Wie auch bei der Michaeliskirche ist bei der Aachener Pfalzkapelle eine harmonische Zahlenkonstellation zu finden, wenn auch in anderer Form. Waren es die Vierungen und das Verhältnis von 2:1 zwischen Höhe und Breite der Anlage bei der Michaeliskirche, so ist es bei der Pfalzkapelle die Zahlenharmonie, bei der die Länge und Breite der Anlage sowie die Höhe des Oktogons nahezu gleich, etwa 29 m, ist. Zudem wiesen die von Karl dem Großen aufgestellten Pfeilern im oberen Umgang der Pfalzkapelle einen gleichen Abstand zueinander auf.

Die Pfeiler und Säulen waren aus Marmor, die er sich für seinen Bau aus Ravenna und Rom hatte herbringen lassen. Laut der Bauforscherin des Landesverbands Rheinland, Ulrike Heckner, soll die Pfalzkapelle auf einer perfekten Geometrie mit Kreisen und Quadraten basieren.

Die Kuppel bildet einen strengen Halbkreis, der auch Ausgangspunkt für die weiteren Berechnungen gewesen sein soll. Höhe und Breite des Baus entsprechen dem zweifachen Maß des Oktogons, die Länge der Pfalzkapelle dem dreifachen Maß.

Sicherlich versprüht die Aachener Pfalzkapelle äußerlich durch die verschiedenen Bauelemente, die in unterschiedlichen Zeitepochen hinzugekommen und stetig erneuert wurden, keinen harmonischen ausgeglichenen Eindruck wie bei der Michaeliskirche in Hildesheim.

Vielmehr handelt es sich hier um ein Prachtbau unterschiedlicher Stilepochen. Auch war es letztlich nicht im Sinne Karl des Großen einen Sakralbau wie bei der doppelchörigen Basilika mit zwei Querhäusern in Hildesheim, der „Gottesstadt“, zu schaffen, sondern eine Residenz, die an Größe und Glanz mit Konstantinopel ebenbürtig erscheinen sollte. Jedoch scheint Karl der Große ein perfektes Bauwerk zu schaffen gewollt haben, das auch in Einklang mit der Geometrie steht.

Gemäß der UNESCO war die Aachener Pfalzkapelle seit der Antike das erste gewölbte Bauwerk nördlich der Alpen, welches zudem das größte Mosaik in einer Kuppel aufwies, welches heute leider zerstört ist. Durch die karolingischen Bronzetüren, der Bronzegitter und der übrigen Bronzeausstattungen karolingischer Zeit, den griechischen und italienischen Marmor und dem heute zerstörten Kuppelmosaik war die Aachener Pfalzkapelle von außergewöhnlich künstlerischer Schöpfung.

Die karolingische Elfenbeinschnitzerei

Die karolingische Elfenbeinschnitzerei mit den Maßen von 11,2 cm (Höhe) und 88 cm (Breite), die um 860 in Reims entstand und die Szene „Nathan vor David“ darstellt, ist ein ausgesprochen kunstvolles Werk. Wie in der karolingischen Zeit üblich, standen Elfenbeinschnitzereien nahe der Buchmalerei, was auch durch das Format und der Zweckbestimmung ersichtlich wird. Wahrscheinlich wurden karolingische Elfenbeinschnitzereien in den wichtigeren Skriptorien wie Reims, Tours, Metz und St. Gallen hergestellt. Zu den Hauptwerken gehören der Buchdeckel des Lorscher Evangeliars und die in einem Buchdeckel gefasste Strafpredigt Nathans vor David.

Die Strafpredikt ist den Psaltern des Karls des Kahlen, dem Enkel des Karls des Großen, entnommen und zeigt drei untereinander angeordnete Szenen. Die obere Szene zeigt rechts den Propheten mit ausdrucksstarker Gebärde vor dem unter den Baldachin stehenden David. Hinter ihm anscheinend hinter einem Vorhang versteckt und lauschend steht Bathseba, die Frau des Urija, die von David geschwängert wurde.

Urija wurde auf Anheißen Davids in der Schlacht um Rabba in vorderster Front eingesetzt. Seine Mitkämpfer sollten sich schlagartig zurückziehen, sodass Urija von den Feinden getötet werden sollte. So geschah es auch.

Der Prophet Nathan konfrontierte David mit dem Mord an Urija und auch mit dem Ehebruch, welches er mit Bathseba begann. Die Szene der Anklage des Nathan ist in der oberen Hälfte des Reliefs sehr schön zu sehen.

Darunter die gesamte Bildbreite ausfüllend ist die Gestalt des toten Urija zu sehen. Der Oberkörper ist nach oben gerichtet, jedoch unterhalb des Davids und der Bathseba, als wollte man zum Ausdruck bringen, dass Urija „mit Füßen getreten“ wurde. In Wirklichkeit scheint der tote Urija jedoch vor den Beiden präsentiert zu liegen.

Das untere Drittel birgt eine Szene eines reichen Mannes mit einer Schafherde, der dem armen Mann aus Gier und Geiz auch sein letztes Schaf raubt. Dem Skulpteur war insbesondere die architektonische Gliederung der Szene und die der Gesten zugehörigen Bewegungen von Körpern wichtig.

Was im ottonische Relief „Vertreibung aus dem Paradies“ der Bernwardstür der energische Zeigefinger des Gottes als harsche aggressive Geste gewertet wird, so wird in der karolingischen Elfenbeinschnitzerei „die Strafpredikt des Nathans vor David“ die bewegende Kraft des Körpers mit dem vorgewölbten Bauch des Propheten zur harschen Geste.

Durch die Überschneidung und Unterschneidung sowie die Unbestimmtheit des Grundes kann die Schnitzerei beinahe als Freiplastik angesehen werden. Die Figuren wurden nicht herausmodelliert, sondern vielmehr durch die Tiefe des Materials geschaffen.

Die gesamte Szene ist durch Akanthusblättern eingerahmt, was die künstlerische Nähe zu Byzanz erkennen lässt. Antik wirken die Gewänder und Tuniken, die griechisch-römischen Vorbildern entnommen sein könnten.

Der Baldachin, ein sehr gern genommenes bildlich dargestelltes Bauwerk beim im 13. Jh. lebenden Giotto di Bondone, wurde vom ihm häufig als Palast und Tempel wiedergegeben. Auch in der vorliegenden karolingischen Elfenbeinschnitzerei könnte der Baldachin als Palast oder Tempel dargestellt worden sein werden.

Das ottonische Relief „Vertreibung aus dem Paradies“

Anders dagegen verhält es sich mit dem ottonische Relief „Vertreibung aus dem Paradies“ der Bernwardstür. Dieses ist nicht in Elfenbein hergestellt, sondern aus Bronze und bildet ein vollendetes sehr schönes Vollrelief. Wie auch die zuvor genannte Elfenbeinschnitzerei wurde das Relief in einem Stück gefertigt. Die Bernwardstüren in Hildesheim wurden um 1050 hergestellt und wiegen fast zwei Tonnen.

Herrlich sind die dreidimensionalen Reliefarbeiten, die sparsam aber mit beinahe expressionistischen Zügen mit einer ganz besonderen Dramatik gezeichnet wurden.

Im ottonischen Relief „Vertreibung aus dem Paradies“ dominieren die beeindruckenden Gesten der Figuren, weniger die architektonische Untermalung, die im karolingischen Relief dominiert.

So sind die Figuren mit ihrer Mimik und Gestik fast vollplastisch ausgearbeitet, der Hintergrund ist dagegen in einem Flachrelief gehalten, was für die wenigere Wichtigkeit spricht.

Beeindruckend ist Gott in einer aggressiven Gestik mit dem hervorschnellenden Zeigefinger dargestellt, der Adam und Eva aus dem Paradies wirft, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis trotz des Verbotes genascht haben.

Adam, der zwischen Gott und Eva nahe des Baumes in gebrechlicher Gestalt dargestellt ist, hält sich aus Scham, wie auch Eva, ein Blatt vor seine Genitalien, mit der anderen Hand vorsichtig zeigend auf Eva, sie sei doch für dieses Dilemma Schuld, denn sie war es, die das Verbot brach. Eva indes, mit dem Rücken ebenso gebeugt wie Adam, jedoch nicht gebrechlich wirkend, hält sich mit der einen Hand ein Blatt vor ihre Scham, mit der anderen zeigt sie auf die Schlange, denn sie war es doch eigentlich, die sie dazu verleitete, das Verbot zu brechen.

Anstatt wie Adam dem Mitmenschen die Schuld zuzuweisen, richtet Eva zielgerichtet und vorwurfsvoll den Zeigefinger auf die Schlange, auf Gottes eigene Schöpfung. Sie kritisiert die Schöpfung Gottes und sozusagen ihn selbst, denn er hat diese Kreatur geschaffen so wie auch sie selbst.

Adam hingegen schiebt den Zeigefinger durch seinen anderen Arm vorsichtig hindurch, angstvoll, mutlos und anscheinend voller Reue. Es scheint, als sei er nur stiller Beobachter einer Szene der Auseinandersetzung zwischen Gott und Eva, der nur im äußersten Notfall eine Geste zustande bekommt. Allerdings kann man in dieser Szene „Gott mit Eva“ auch die Freisprechung des Mannes vom Sündenfall ganz nach mittelalterlichem Weltbild sehen. War es doch die Frau, die sündigte.

Beide Reliefs stellen eine gewisse Aggression gegenüber einer Person dar. Im karolingischen Relief ist es Nathan, der mit seinem dicken Bauch eine eindeutige Geste einer Strafpredigt jedoch nicht in erster Linie vor der Frau, sondern vor David spricht.

Die Frau hinter David scheint nur stiller Mitverfolger der Auseinandersetzung zu sein. Umgekehrt ist es beim ottonischen Relief. Hier scheint es die Frau, die von Gott angeprangert wird und der Mann der beinahe stille Zeuge.

Ist im karolingischen Relief der Hintergrund und die architektonische Ausarbeitung mit von Wichtigkeit, so ist es im ottonischen Relief in erster Linie die Ausarbeitung der Figuren. Diese sind als nahezu vollplastisch anzusehen. Der Hintergrund ist in einem Flachrelief gehalten. Die Mimik und Gestik ist sehr schön ausgearbeitet, wobei die Mimik im karolingischen Relief wegen des doch recht kleinen Formats kaum detailreich ausgearbeitet werden konnte.