Im Zentrum der Altstadt Neapels, nördlich der Piazza San Domenico Maggiore und nördlich der Universität findet sich eine der wichtigsten Kirchen Neapels: die Cappella Sansevero, die 1590 als Grabstätte für die Familie di Sangro in Auftrag gegeben wurde und bis heute ein Juwel des Barocks und des internationalen Kunsterbes ist.
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Raimondo di Sangro und die Kapelle
Raimondo di Sangro, Prinz der Sansevero und siebter Fürst der Familie, war eine wichtige Figur im Neapel des 18. Jahrhunderts. Er war ein Großmeister der Freimaurerei, aber auch Alchimist, Erfinder und Anatom. Sein Ruhm ist verbunden mit dem Mausoleum seiner Familie, die Kapelle Sansevero, einer der schönsten Plätze in Neapel.
Unter der Kirchen liegen Tempelruinen
Eine Legende besagt, dass die Cappella Sansevero auf den Ruinen eines Tempels ruhen soll, der der ägyptischen Göttin Isis geweiht wurde. Und das macht den Zauber dieses Ortes aus. Heute geht man davon aus, dass wahrscheinlich Adriana Carafa della Spina, die erste Prinzessin der Sansevero, das Mausoleum konstruieren ließ, in Gedenken an ihren aus Eifersucht getöteten Sohn zusammen mit seiner Geliebten.
Die Statuen der menschlichen Tugenden
Raimondo veränderte mit Hilfe großartiger Künstler wie Francesco Queirolo, Antonio Corradini und Giuseppe Sammartino das Erscheinungsbild des Mausoleums. Wer die Kapelle betritt, der wird von der Schönheit und Einzigartigkeit gebannt sein. Die dort befindlichen Statuen stellen die menschlichen Tugenden dar. Sie markieren die symbolischen Etappen einer Initiationsreise vom Menschlichen zum Göttlichen. Besucher können so die göttlichen Liebe (l’Amore divino), die Selbstbeherrschung (il Dominio di se stessi), die Lieblichkeit der Ehe (la Soavità del giogo coniugale), die Aufrichtigkeit (la Sincerità), die Desillusionierung (il Disinganno) und die Bescheidenheit (la Pudicizia) bestaunen.
Cristo velato – das eindrucksvollste Werk
Die mysteriöseste Figur ist jedoch die des Cristo velato, des verhüllten Christus, der vom Bildhauer Giuseppe Sammartino so lebendig und detailliert gestaltet wurde, dass selbst der große Antonio Canova beim Anblick dieser Statue gesagt hatte, dass er für die Beanspruchung der Vaterschaft für diese Statue zehn Jahre seines Lebens geopfert hätte.
Der verschleierte Christus befindet sich in der Mitte des Kirchenschiffs der Sansevero-Kapelle und gehört zu den eindrucksvollsten und bekanntesten Kunstwerke der Welt. Für die Umsetzung der Statue sollte Antonio Corradini gerufen werden, der bereits für den Fürsten die Statue la Pudicizia gefertigt hatte. Allerdings starb Corradini 1752. Er konnte jedoch bis zu seinem Tod eine Terrakotta-Skizze anfertigen. Diese befindets ich heute im Museo di San Martino.
Nach dem Tod von Corradini war Raimondo di Sangro gezwungen, auf einen anderen Künstler auszuweichen. Er entschied sich für den jungen neapolitanischen Künstler, Giuseppe Sanmartino. Dieser sollte eine lebensgroße von einem durchsichtigen Leichentuch bedeckte Marmorstatue des Herrn Jesus Christus schaffen, allerdings sollte das aus demselben Block wie die Statue herausgearbeitet werden.
Die vorher angefertigte Skizze des aus Este stammenden venezianischen Bildhauers Corradini wurde von Sanmartino kaum berücksichtigt. Vielmehr interpretierte der Bildhauer seine spätbarocken Gefühle und Empfindungen in die Statue, wodurch das Grabtuch eine besondere Bewegung und Bedeutung erhielt, die sich von der Skizze des Corradini wesentlich unterschieden.
Die moderneren Empfindungen des Künstlers formen und entkleiden den menschlichen Körper so, dass die weichen und transparent wirkenden Tücher den Körper nahezu barmherzig einhüllen. Durch die gequälten beinahe krampfhaften Faltenlage des Schleiers wird dem Körper ein tiefes Leid eingehaucht. Sie lassen die Gebeine, die Glieder, den Körper noch mehr gequälter erscheinen.
Gut erkennbar sind die pochende Vene auf der Stirn und die Nageldurchbohrungen an den Füßen und den Händen sowie die schließlich im befreienden Tod zur Seite gerichtete Kopfbewegung.
Die Rätsel der menschlichen Modelle
Weitere Kuriositäten können im Untergeschoss der Cappella Sansevero bewundert werden, wo die so genannten anatomischen Maschinen in zwei Vitrinen versteckt sind, genaue Modelle des Kreislaufsystems. Diese hatte der Fürst beim palermitanischen Anatomen Giuseppe Salerno in Auftrag gegeben.
Eine Legende besagt, dass der Fürst zwei reale Kadaver genommen hätte, in das Kreislaufsystem Blei injiziert lassen habe, um so das Herz-Kreislaufsystem zu mumifizieren. Allerdings wurde diese Legende bereits wissenschaftlich widerlegt. Dennoch bleiben diese beiden Körper ein Symbol für die wissenschaftliche und kulturelle Entwicklung Neapels.
Es handelt sich bei den beiden Modellen um das Skelett einer Frau und eines Mannes in aufrechter Position, wobei das arteriovenösen System nahezu vollständig intakt geblieben ist.
Ursprünglich befanden sich die beiden Modelle im “Appartamento della Fenice”, einem Raum des Fürstenpalastes, wie aus dem anonym verfassten Reisebuch „Breve nota di quel che si vede in casa del principe di Sansevero“ aus dem 18. Jahrhundert über den Palast und die Sansevero-Kapelle belegen.
Neben dem weiblichen Körper lag ursprünglich noch ein Fötus, der durch die Nabelschnur mit der Plazenta verbunden war.
Alle Körper wurden nach dem Tod des Fürsten in die Sansevero-Kapelle gebracht und waren dort zusammen bis vor wenigen Jahrzehnten zu bewundern, bis man den Fötus stahl. Nun sind nur noch die beiden erwachsenen Körper zu besichtigen.
Bis heute, nach 250 Jahren, geben diese Körper noch Rätsel auf. Unter Wissenschaftlern wird über das Verfahren und die Materialien diskutiert, die für diese lebendige Erhaltung der Körpern geführt haben. Eine kurze Notiz gibt zu erkennen, dass von einer Injektion die Rede ist. Wissenschaftler vermuten die Injektion einer metallischen Lösung.
Gemäß dem Volksglauben soll Raimondo di Sangro zwei seiner Diener, einen Mann und eine Frau, töten gelassen haben, um ihre Körper auf kurioser Weise einbalsamieren zu lassen, sodass am Ende nur noch das Kreislaufsystem zu erkennen sein sollte.
Untersuchungen zeigten jedoch, dass das Kreislaufsystem eine Rekonstruktion aus verschiedenen Materialien ist, darunter Farbstoffe und Bienenwachs.
Der Hochaltar der Cappella Sansevero
Der Hochaltar wurde von Francesco Celebrano und Paolo Persico in den 1860er Jahre gefertigt, wobei das Hochrelief Francesco Celebrano schuf. Das Fresko „die Herrlichkeit des Paradieses“ oder „das Paradies der Familie di Sangro“ wurde von Francesco Maria Russo, einem eher unbekannten Künstler, angefertigt. Es war eines der ersten Werke, die der Fürst von Sansevero für die Kapelle in Auftrag gab.
Der Labyrinth-Fußboden ist eine Erfindung des Fürsten
Um die Mitte der 1760er Jahre erhielt der neapolitanische Maler und Bildhauer Francesco Celebrano den Auftrag, einen Fußboden mit polychromen Marmorintarsien nach der Erfindung des Raimondo di Sangro anzufertigen. Das Besondere daran war, dass in den Marmorintarsien eine nahtlose und durchgehende Linie aus weißem Marmor eingelassen werden sollte. Als der Fürst starb, war der Fußboden fast fertig, wie einige Lithografien aus dem 19. Jahrhundert zeigen. Di Sangro selbst schrieb in seinem Testament, dass er wohl die Fertigstellung des Labyrinthbodens nicht mehr erleben würde, denn die Arbeiten gestalten sich mehr als schwierig.
Das Grabmal von Raimondo di Sangro
Das eher nüchtern gehaltene Grabmal für den Fürsten Raimondo di Sangro wurde 1759 von Russo entworfen, als der Fürst noch lebte. Das Grabmal besteht aus zwei wesentliche Komponenten: einer Gedenktafel mit einer längeren Ode auf den Widmungsträger und einem Komplex von eingemeißelten Emblemen auf einen großen Bogen. Das Portrait des Prinzen befindet sich zwischen beiden Komponenten.
Das Gemälde Pietà ist von Bedeutung
Die Zuordnung des Malers ist relativ wage. Es wird vermutet, dass das Gemälde ein neapolitanischer Manierist vor 1590 gemalt hat. Umrahmt wird es von einem Engelsstrahl aus Stuck, der von Paolo Persico im Jahr 1769 angefertigt wurde. Das Gemälde ist nur von künstlerischer Bedeutung, sondern auch wegen seiner Rolle in der Geschichte der Kirche. Ende des 16. Jahrhunderts wollte der Herzog von Torremaggiore, Giovan Francesco, um das Gemälde herum ein Sacellum errichten. Aus diesem sollte dann die Erweiterung Santa Maria della Pietà hervorgehen, der andere Name der Sansevero-Kapelle.
Die Sakristei und die Buchhandlung
Die Sakristei der Cappella Sansevero beherbergt zwei Grabdenkmäler von Angehörigen der Sangro-Familie aus dem 19. Jahrhundert. Die Wände sind mit mehreren Marmoren aus der Sansevero-Kapelle aus dem 17. Jahrhundert sowie großen Platten des Labyrinth-Fußbodens aus dem 18. Jahrhundert dekoriert.
Ebenfalls befindet sich in der Sakristei die Buchhandlung des Museums, die erst 2017 mit funktionalem Mobiliar ausgestattet wurde.