Die byzantinische Kunst ist eines der herausragendsten Beispiele für ein Verschmelzen verschiedener Kulturen. Mehr als ein Jahrtausend von der Spätantike bis zum Mittelalter bestand das Byzantinische Reich, das antike Formen bewahrt und dem westlichen Mittelalter zusammen mit orientalischen und östlichen Formen überliefert hat. Die byzantinische Kunst kann sozusagen als Vermittlerin zwischen griechischer Antike und mittelalterlichen Welt angesehen werden. Es finden sich heute noch reichlich Spuren byzantinischer Kunst in Italien.

Byzantinische Mosaike in der Basilika San Vitale in Ravenna
Byzantinische Mosaike in der Basilika San Vitale in Ravenna

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Die zwei wesentlichen Kerntypen

Die Kunst und Kultur des Westens beruht in ihrer Grundlage und Reichhaltigkeit zu großen Teilen auf byzantinischen Vorbildern. Zwei wesentliche Kerntypen entwickelten sich nach der Zeit Justinians (527 – 565) in der byzantinischen Kunst: die Kreuzkuppelkirche ab dem 9. Jh. n. Chr. und die Ikone ab dem 6. Jh. n. Chr.

Die Kreuzkuppelkirche

Die Kuppel mit schöner byzantinischer Bemalung in Ravenna
Die Kuppel mit schöner byzantinischer Bemalung in Ravenna

Die Kreuzkuppelkirche stellt den Idealtypus einer theologisch fundierten Kirchensymbolik dar. Ein wunderschönes Beispiel einer Kreuzkuppelkirche aus dem 10. – 11. Jh. n. Chr. liefert die byzantinische Kirche Ágios Geórgios Diasorítis auf der griechischen Insel Naxos. Ihr Grundriss stellt das typische griechische Kreuz dar. Der quadratische Raum wird durch vier Pfeilern in Gestalt eines sich ergebenden griechischen Kreuzes aufgeteilt, über dem Tonnengewölbe und eine Pendentifkuppel ragt.

Dieses Modell und spätere mit Nebenkuppeln ausgestattete byzantinische Kirchen gelten bis heute als klassisches griechisch-byzantinisches Kirchenmodell, das so in seiner Form auch in Italien, Georgien und Armenien auftritt.

Abgewandelte und später modifizierte, jedoch auf dieser byzantinischen Architektur fußende Kreuzkuppelkirchen finden sich beispielsweise in Venedig (Markusdom) und Padua (Kathedrale). Sie gelten als katholische Kreuzkuppelkirchen, die den byzantinischen Architekturstil übernommen und diesen nach ihren religiös-stilistischen Bildern modifiziert haben, jedoch ohne eine strenge Funktionseinteilung festzusetzen.

Die strenge Funktionseinteilung der Kirchen

Die Basilika San Vitale in Ravenna von außen
Die Basilika San Vitale in Ravenna von außen

Die Strenge der Funktionseinteilung von byzantinischen Kreuzkuppelkirchen ist markant. Neben der stets sich wiederholenden, kaum abweichenden Architektur der Kirchen, ist auch das Innere dieser streng nach Schema ausgestaltet.

Die Kuppel, das Höchste der Kirche, das sozusagen den Himmel darstellen soll, ist der Sitz von Pantokrator, des Allherrschers Christus, aber auch die eschatologischen Themen Pfingsten und Himmelfahrt.

In der Apsis findet sich die Madonna als Sinnbild der Inkarnation. Eine Reihe unter der Kuppel finden sich die wichtigsten Szenen aus dem Leben Christi und den Tod Mariä, die allesamt in Trompen, Wandfeldern und Kreuztonnen appliziert sind, ganz unter strenger Berücksichtigung der Orte wie Bethlehem und Golgatha, die ebenso ihren symbolischen Ort in der Kirche haben.

Die nächste tiefere Zone ist dem Irdischen gleichzusetzen. Hier finden sich Nischen, Bögen und Pfeiler. Über diesen ist der Chor der Heiligen in strenger Rangordnung dargebracht. Es geht von Kirchenvätern über Märtyrer im Naos bis hin zu den heiligen Frauen im Narthex, wobei jedoch ab dem 12. Jh. insbesondere der Narthex mit Darstellungen und Szenen des Alten Testaments, des Jüngsten Gerichts und mit religiösen Allegorien erweitert wird.

Diese reichhaltige Ausstattung bildet zusammen mit dem Kirchenraum eine komplette Einheit als Symbol der heilsgeschichtlichen und kosmischen Weltordnung Gottes, wobei Kuppel und Wölbungen zum Bildraum werden.

Figuren stehen also gegenüber und handeln durch diesen hindurch, was den Raum vor den Bildern als Realraum und nicht als Illussionsraum werden lässt. Der Raum ist also vor den Figuren platziert und nicht hinter diesen als projizierter Illussionsraum. Mit einbezogen ist hier als einzigartige Leistung der byzantinischen Kunst die Ikone, die im Heiligtum platziert und mit diesem ein Gesamtkunstwerk bildet.

Schön ist die typisch byzantinische Architektur in Ravenna zu erkennen
Schön ist die typisch byzantinische Architektur in Ravenna zu erkennen

Die Hagia Sophia

Ein Prachtexemplar einer byzantinischen Kuppelkirche mit besonderer architekturhistorischer Stellung ist die Hagia Sophia im damaligen Konstantinopel (heute Istanbul), die für Byzanz ein Jahrtausend lang der geistige Mittelpunkt des Reiches darstellte. Dieser gewaltige Bau, der selbst keine Kreuzkuppelkirche darstellt, aber mit einer Pendentifkuppel ausgestattet von etwa 33 m Durchmesser wurde in nur 5 Jahren (532 bis 537 n. Chr.) errichtet, was auf eine extrem gewissenhafte Planung schließen lässt.

Hier vereinen sich die frühchristliche Gliederung von Basiliken, griechische Proportionen und römische Wölbungstechniken miteinander zu einem Kunstwerk, das prächtiger nicht sein kann und seiner Zeit in der Architektur deutlich voraus war.

Übergreifende Arkaden sowie über- und untergeordnete Raumzellen stellen eine Neuheit in der byzantinischen Architektur dar, die zudem noch durch eine Fülle von glanzvollen Mosaiken und Pfeilern betont werden.

Diese Form der basilikalen Wandgliederung und der Vereinigung des Längs- und Zentralbaus diente für viele weitere Bauten in der Geschichte als Vorbild.

Die San Vitale in Ravenna

Die San Vitale in Ravenna (526/38 – 545) wird zu einer stilistisch neuartigen Raumordnung. Die Veränderungen sind nur geringfügig vom byzantinischen Modell, jedoch mit großer Wirkung. Der Tambour ist erhöht, die hohen Kuppelpfeiler ragen ohne Gesimsüberschneidung auf und die Arkatur der Nischen ist schlanker denn je. Die Kirche wird sozusagen in die Höhe gezogen. Die Vertikalisierung dieser Struktur unterscheidet sich von der byzantinischen Struktur zwar nur geringfügig, aber sie gilt als aufkeimendes Modell der abendländischen Entwicklung zur Romanik und Gotik.

Die Ikone – Symbol der byzantinischen Kunst

Die Ikone, zweifelsohne das wohl bekannteste Symbol der byzantinischen Kunst, stellt den Vorläufer des westlichen Altarbildes in ihrer Form dar, ist aber in ihrer Funktion und Idee eher als Kultbild zu betrachten.

Damit eine Ikone in der byzantinischen Kunst verehrt werden konnte bzw. kann, musste diese als Voraussetzung eine Übereinstimmung zwischen abgebildeten Gott oder Heiligem und authentischen Quellen haben, sprich das Abbild musste so aussehen, wie in der Heiligen Schrift und den Apokryphen beschrieben. Erst dann galt es als glaubwürdig und anerkannt.

Einmal als anerkannter Bildtypus festgelegt, blieb dieser auch jahrhundertelang unverändert, während die westliche Kunst sich in Manigfaltigkeit und Neuerungen übte. Insbesondere die Buchmalerei wirkte auf die westliche Kunst ein, wobei die Ikone sich ausschließlich im orthodoxen Bereich entfalten konnte.

Das Prinzip des Altarbildes wurde von der westlichen Welt übernommen, jedoch fand die Strenge und Unveränderlichkeit der abgebildeten Heiligen kaum auf Dauer Anklang.

Zwar erfüllte die Ikone lange Zeit als Urform des westliche Bildes von Herrscherbildnissen bis hin zu Passionsdarstellungen ihre Funktion für die westliche Kunst, jedoch wurde sie mit der Zeit abgewandelt. Die Altarbilder der westlichen Welt unterschieden sich im Laufe der Jahre immer mehr, wobei die byzantinische Ikone kaum Abwandlungen erlebte.

Lediglich im russischen Raum und in den Balkanländern trat die Ikone in die Volkskunst ein und blieb auch dort weiterhin fast unverändert bestehen.

In spätbyzantinischer Zeit entwickelte sich schließlich die Ikonostase, die Bilderwand mit mehreren meist farbigen Abbildungen von Ikonen, die den Kirchenraum vom Altarraum trennt.

Schnitzarbeiten in Form von flachen Reliefs erinnern noch zaghaft an die plastischen Formen der alten griechischen Kunst, geben jedoch mit ihren Heiligendarstellungen einen wunderbaren Einblick in die byzantinische Bildkunst, die als intaktes Menschenbild verstanden werden muss.

Die Malerei der byzantinischen Kunst

Die byzantinische Kunst entfaltet sich vor allem in der Malerei. Menschenbilder, die natürliche Formen und Bewegungsmuster verdeutlichen sollen, sind der wichtigste Bildinhalt der byzantinischen Kunst, auch wenn häufig anatomisch nicht richtig dargestellt.

Das immer gleich starre Wiederkehrende, das die byzantinische Kunst von der Antike übernommen hat, der Rückgriff auf ältere Formen, die leichten Abwandlungen in Farbe, Licht und Zäsuren und die stetigen Konturenwiederholung lassen das byzantinische Bild über Jahrhunderte nahezu gleich erscheinen.

Gerade diese Kontinuität diente der westlichen, frühchristlichen und abendländischen Kunst als Grundlage wichtiger Entwicklungen. Das Zusammenspiel und die Einheit griechischer und römischer Kultur sowie des Christentums stellt bis heute das Fundament der abendländischen Kultur dar, wobei erst jetzt im 21. Jahrhundert dies sich zu ändern beginnt.

Die byzantinische Kunst in Kalabrien

Die byzantinische Periode in Kalabrien dauerte etwa fünf Jahrhunderte, von der Eroberung durch Justinian in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts bis zur normannischen Besetzung in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts.

Als byzantinische Perle ist Rossano bekannt, eine kleine Stadt zwischen den Sila-Bergen und dem Ionischen Meer, die vom 6. bis zum 11. Jahrhundert eine strategisch wichtige und aktive Stadt des Byzantinischen Reiches darstellte.

Etwa 18 km östlich befindet sich ein kleines Juwel der byzantinischen Kunst, die von dem Mönch Bartholomäus von Simeri 1095 gegründete Abtei Santa Maria del Pàtire. Der ursprünglichen Klosterkomplex ist gut erhalten. Im Inneren schmückt ein antikes noch teilweise gut erhaltenes Bodenmosaik aus dem 12. Jahrhundert die Kirche.

Die im Süden der Stadt Rossano gelegene Kirche San Marco steht auf einem Felsvorsprung und wurde im 10. Jahrhundert gegründet. Im Inneren findet sich als bildliche Ausschmückung eine Madonna mit Kind aus dem 13. Jahrhundert.

Santa Severina, ein altes mittelalterliches Dorf in der Provinz Crotone, beherbergt das älteste byzantinische Denkmal Kalabriens, das Baptisterium, das zwischen dem 8. und 9. Jahrhundert errichtet wurde. Dieses erscheint äußerlich als eine einfache Kuppel, um die ein Atrium verläuft. Ursprünglich war sie jedoch teilweise mit schönen Fresken bemalt, die leider heute kaum noch sichtbar sind. An einigen Kapitellen sind Inschriften bezüglich des Baus in byzantinischem Griechisch zu lesen.

Unweit des Baptisteriums befindet sich die Kirche Santa Filomena, die auch als Kirche von Pozzoleo bekannt ist und ein weiteres Juwel der byzantinischen Architektur in Kalabrien darstellt. Sie stammt aus dem 9. Jahrhundert und besitzt eine herrliche, mit orientalischen Motiven verzierte Kuppel.

Im bezaubernden Dorf Bivongi, das in einem Tal am rechten Ufer des Flusses Stilaro am Fuße des Monte Consolino liegt, befindet sich das Kloster San Giovanni Théristis, das ein großartiges Beispiel byzantinischer Klosterarchitektur darstellt. Hier zeigt sich der byzantinische Stil in den Umfassungsmauern, die aus abwechselnden Schichten von Bruchsteinen und Terrakotta bestehen, im Äußeren der Basilika und auch in den Pilastern außerhalb der Apsis.

In Stilo steht die Kirche Cattolica di Stile aus dem 10. Jahrhundert, die den klassischen Typus der byzantinischen Kirche mit quadratischem Grundriss und griechischem Kreuz bildet. Sie wird von fünf zylindrischen Kuppeln gekrönt.

Byzantinische Kunstbeispiele in Italien

In Italien gibt es etliche schöne Beispiele byzantinischer Kunst zu entdecken. Prächtige Mosaike sind beispielsweise in Albenga, Cimitile, Mailand, San Prisco bei Capua, Rom, Neapel und Casaranello in Apulien erhalten. In Rom entwickelte sich eine lineare Stilisierung, die sich an die byzantinische Kunst orientierte, jedoch sind ebenso hellenistische Einflüsse erkennbar, die vor allem in den Fresken von Santa Maria Antiqua und einigen Ikonen zum Ausdruck kommen. Fresken und Mosaiken finden sich in San Clemente, Holzmalereien dagegen in der Kathedrale von Tivoli und Miniaturen sind in großformatigen Bibeln fein säuberlich gemalt. Umbrien wurde von dem in Rom entwickelten Stil beeinflusst. Die Bibel des Kartäuserklosters von Calci (1169, zu sehen in Pisa, Museo Nazionale di S. Matteo) zeigt sehr gut die Etablierung eines byzantinischen Stils, der in Pisa, Lucca und Sarzana fortgesetzt wurde.

An der nördlichen Adria entwickelte sich die byzantinische Malerei neben der frühchristlichen Kunst. Es wurden an der Adria Bodenmosaiken hergestellt, die von byzantinischen Vorbildern beeinflusst waren. In der Lombardei und der Emilia waren diese wiederum sehr originell. Einzigartig ist das Mosaik im Dom von Otranto.

In Süditalien, genau genommen in Benevento, Bari, Capua (Sant’Angelo in Formis) sind Fresken in kleineren Kirchen zu sehen, die einen starken byzantinischem Einfluss haben und von hoher Qualität sind.

Insbesondere die Normannen bemühten sich in Italien um reichhaltige Dekorationen. So gehen die Werke in Palermo, Monreale und Cefalù auf diese Dekorationsbemühungen aus dem 12. Jahrhundert zurück.

Zudem hat die orientalische Kunst Miniaturen heiliger Texte, Elfenbeinschnitzereien, Tauschierungen wie in Salerno, die Türen von Montecassino und San Paolo fuori le Mura in Rom intensiv beeinflusst. Ebenso wurde der byzantinische Stil auch auf Textilien und Stickereien übertragen, insbesondere im Süden Italiens. Venedig galt damals als ein byzantinisches Zentrum, aber gleichzeitig blickte es auch auf den islamischen Osten und die Lombardei.

Die islamische Kunst beeinflusste die Herstellung von Textilien in Palermo. Als die normannische Dynastie unterging, wurden in Genua, Venedig und vor allem in Lucca Textilfabriken gegründet. Umfangreich und von hoher Wichtigkeit war die Produktion von geschnitztem oder bemaltem Elfenbein, wie der Altarvorsatz von Salerno und die byzantinisch inspirierten Kassetten.

In Italien entwickelte sich von Beginn des 11. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts die Kunst und Architektur der Romanik und Gotik, die sich von allen anderen Ländern Westeuropas abgrenzte. Der romanische Stil hat sich unterschiedlich in den einzelnen Regionen entwickelt. So vermischte man diesen in Venetien mit byzantinischen Einflüssen wie in San Marco zu sehen ist. Im Süden Italiens hatte sich der Geschmack durch Kontakte mit dem Osten verbreitet und Desiderios Bauinitiative in Montecassino schlug strikt die Wiederbelebung frühchristlicher Merkmale vor und führte gleichzeitig arabische Motive wie Spitzbögen und byzantinische Merkmale ein.