Italien ist eine Reise nicht nur ans Meer, in die Berge, an den Seen, zu den größten Städten, mit Bus, Bahn oder Fähre, Italien verkörpert vielmehr eine Reise durch Raum und Zeit, die durch ihre Literatur in vielen Fällen eindrucksvoll geschildert ist. Schon Johann Wolfgang von Goethe hat mit seiner „Italienischen Reise“ Maßstäbe gesetzt, aber auch Ferdinand Gregorovius mit seinen „Wanderjahre in Italien“. Diese beiden hielten als eine der ersten, die Wesenszüge des Landes und seine Bewohner fest.

Wie über jedes Volk existieren auch über Italien Vorurteile oder Urteile, die leicht gefällt werden. Dies fällt gewöhnlich auch nicht schwer. Sicherlich hat Italien seine Fehler, die das Land auch nicht beschönigt, im Gegenteil: Wenn eine Schandtat ans Licht kommt, dann wird sie in den Medien über Wochen hinweg kontrovers diskutiert. „Polemiche infinite“ nennen das die Italiener. Etwas unternehmen, um Fehler zu vertuschen? In Italien denkt kaum einer daran. Im Gegenteil: Das Land diskutiert alle möglichen Szenarien und am Ende wird oft abgewunken. Auf zur nächsten Schandtat, die soeben wieder ans Licht gekommen ist.

Hinter jedem Fehler, jedem Erfolg, jeder Person, jedem Ort und jedes Bauwerk steht jedoch eine Geschichte, die es zu ergründen gilt.

Das Freilichtmuseum der Kunst

Italien ist ein Land, das aus vielen unterschiedlichen Städten besteht, die jedoch in ihrer einzelnen Geschichte und ihren antiken und historischen Überbleibseln ein Freilichtmuseum der Kunst darstellen. Nimmt man England London weg, so bleibt nicht mehr allzu viel zu entdecken. Das Gleiche kann von den Niederlanden mit Amsterdam und von Frankreich mit Paris gesagt werden. Wenn man sich aber in Italien Rom wegdenkt, dann hat man trotzdem unendlich viele Städte, die einem das Land, die Geschichte und seine Schätze näher bringen. Man denke dabei an Mailand mit dem Schloss der Familie Sforza, Orvieto mit seinem Dom, in dem sich der Maler Luca Signorelli verewigt hat, Padua mit der Arenakapelle und dem beeindruckenden Jüngsten Gericht von Giotto, Pisa mit seinem bekannten Schiefen Turm, Turin mit den Königlichen Residenzen der Savoyer und Museen, die Lagunenstadt Venedig und Florenz mit seinen gesamten Kunstschätzen. Man könnte hier die Liste endlos weiterführen.

Italien brachte viele Künstler hervor

Italien ist also ein Land, das an Sehenswürdigkeiten, Schlössern und Kunstschätzen nur so überquillt. Es ist aber auch ein Land, das eine reichhaltige Literaturgeschichte aufweist. Man denke hier an die Göttliche Komödie, die Dante Alighieri zu Zeiten der Ghibellinen und Guelfen, den zwei verfeindeten politischen Gruppen im mittelalterlichen Italien, schrieb oder an Giacomo Leopardi, der im 19. Jahrhundert Rom auf dem heruntergekommenen Anwesen seiner Mutter erlebte, als Ende des 18. Jahrhunderts das Papsttum sich nach den Revolutionen allmählich wieder erholte.

Ebenso aus dem niederen Bürgertum in Rom stammend und im 19. Jahrhundert lebend war der Spötter und Dichter Gioachino Belli, eigentlich mit anti-klerikalalen Gemüte, der jedoch 1849 die Rechte des Papstes verteidigen musste, um überhaupt leben zu können.

Mailand in der Nachkriegszeit

Mailand, das am 25. April 1945 aus den Fängen des Zweiten Weltkrieges befreit wurde, existierte nur noch zu einem Drittel. Es waren 60 Prozent der Häuser beschädigt oder zerstört, der überwiegende Teil der Produktion war vernichtet sowie viele großartige Denkmäler wie das Castello Sforzesco, die Galleria Vittorio Emanuele II, die Scala und die Pinacoteca di Brera, die allesamt stark beschädigt waren. Mailand in der Nachkriegszeit war in einem erbärmlichen Zustand. Grundnahrungsmittel fehlten, Brot wurde nur dreimal die Woche ausgeteilt und wenn doch mal ein Laden etwas hatte, so verbreitete sich dies wie ein Lauffeuer. Elektrizität war auf wenige Stunden am Tag rationiert. Kerzen und stinkende Karbidlampen halfen, um sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Letztere explodierten auch gerne mal.

Der Mezzogiorno – der Süden des Landes

Dann ist da noch das nach 1861 genannte Mezzogiorno – der südlichste Teil des Landes, das auch einmal vor 1861 Königreich beider Sizilien hieß. Mit Königreich verbinden wir Prunk und Pracht, das war es vielleicht auch einmal an bestimmten Punkten des Südens. Man denke hier an die herrlichen Hinterlassenschaften in und um Neapel wie die Reggia di Caserta, eines der größten Schlösser in Europa, mit ihren über Tausend Zimmern, die 1751 unter Karl VII. errichtet wurde.

Doch der Mezzogiorno gehört zu den ärmsten und zugleich größten Teilstaaten auf italienischen Boden. Schon die Piemonteser Beamten, die nach der Einheit Italiens in den Süden versetzt wurden, erkannten die katastrophalen Zustände des Mezzogiorno. Ein Fass ohne Boden, hieß es.

Neapels gegensätzlicher Ruf

Allein Neapel genoss seit jeher einen schlechten Ruf. Schon der Paduaner Titus Livius beschrieb in den ersten Jahrzehnten nach Christi Geburt die disaströsen Zustände der Stadt. Jahrhunderte vergingen, Neapel aber blieb bei seinem Ruf. 1602 schrieb der aus Kalabrien stammende Philosoph Tommaso Campanella in seinem Werk „La città del sole“, dass 70.000 Menschen in Neapel leben und von ihnen kaum 15.000 arbeiten würden. Der Rest der Menschen wäre faul, geizig, krank oder exorbitant teuer. Lazzaroni nannte man sie, Bürger, die den lieben langen Tag nichts taten. Sie waren meist mit Lumpen bedeckt und hielten sich mit Gerissenheit, Betrügereien, Diebstahl und kleinen Aushilfsjobs über Wasser.

Selbst der Großteil der Reisenden der seit der Renaissance aufblühenden Grand Tour hat sich über Neapel ausgelassen, bis auf wenige Ausnahmen wie Goethe, der die Stadt als die mit den schönsten Gegenständen beschrieb, für Stendhal war sie die „schönste Stadt im Universum“.

Vielleicht liegt es daran, dass Neapel eine Stadt der Kontraste ist. Einerseits ummantelt sie eine Schönheit, andererseits kann sie Schrecken verursachen, sie kann liebenswürdig und aufgeschlossen sein, aber auch grausam und verschlossen. Das ist das Dilemma von Neapel. Es kommt darauf an, mit welchen Augen man die Stadt betrachtet. Und das ist das punctum saliens, der springende Punkt. Man kann die rund 3.500 Morde der Camorra in 25 Jahren betrachten und sagen, Neapel ist grausam, schrecklich und heruntergekommen oder man betrachtet Neapel mit seinen größtenteils aufgeschlossenen und herzlichen Bewohnern, den immensen Reichtum an Kunstschätzen und historischen Bauwerken als eine aus dem Meer geborgene Amphore, wie der schottische Schriftsteller Norman Douglas Neapel bezeichnet.

Die Küste Neapels mit ihren Inseln im wunderschönen Golf, den parkähnlichen Nutzgärten, Paestum und Pompeji galt jedoch schon bei den Römern als Campania felix, sprich als glückliches Kampanien.

Wie dem auch sei, laut den sudisti, den im Süden Italien lebenden Menschen, sind die Piemonteser an der Miserie Schuld, die heute den Süden einhüllt. Immerhin haben sie, als sie ihre Piemonteser Beamten nach Neapel schickten, den Staatsschatz des Königreichs beider Sizilien aus den Banken Süditaliens in den Piemont geschleppt. Sie haben ihn geraubt und deshalb sei der Süden arm und der Norden reich geworden. Ob dies so stimmt, konnte nie in historischen ernstzunehmenden Quellen festgestellt werden.

Parma und sein Dilemma

Eine ebenso kontrastreiche Stadt ist Parma. Eigentlich ist sie durch ihre günstige Lage in der Emilia-Romagna, den lokalen hoch angesehenen Produkten und dem Einkommen der Bewohner mit Glück gesegnet. Wäre sie nicht die in den letzten Jahren auf obskure Weise korrumpiert. Es geht um Parmalat, einem der größten Lebensmittelkonzerne in Europa für Milchprodukte, bei dem der Eigentümer sein eigenes Unternehmen um Millionen Euro betrogen hat und um eine unfähige Stadtverwaltung mit einer Person an der Spitze, die wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder und Korruption von der Staatsanwaltschaft angeklagt wurde. Sicherlich ist Parma kein Einzelfall. Allerdings wurde dieser Skandal in den Medien weitaus größer ausdiskutiert.

Parma war jedoch in seiner Vergangenheit ein faszinierender kleiner Hof, der im Roman von Stendhal „Die Kartause von Parma“ eindrucksvoll beschrieben wird.

Nur schnell weg von Venedig

Kommen wir zur einstigen Republik Venedig, die als La Serenissima Repubblica di San Marco unterging. Venedigs Glanz leuchtete bis zu den griechischen Inseln. Doch dann kam Napoleon. Für ihn war die Seehandelsmetropole eine leichte Beute, denn der Doge war verängstigt, das Volk ohnmächtig und die Stadtaristokratie sprachlos. Widersprüchliche Befehle, die in der Geschichte Italiens häufiger auftraten, machten Venedig schließlich den Garaus. Ippolito Nievos Roman „Le confessioni di un italiano“ (Die Bekenntnisse eines Italieners) beleuchtet sehr intensiv die Situation und den Niedergang Venedigs. Heute steht die Stadt erneut am Abgrund, dieses Mal aber ist das Problem hausgemacht. Venedig stirbt aus. Die Stadt geht unter. So lauten die Hilferufe der letzten Bewohner der Lagune.

Viele Häuser sind unbewohnt oder werden an Spekulanten verkauft, die wiederum an den Gebäuden nichts unternehmen. Diese verfallen zunehmend. Leider liegt das Problem auch in der Bürokratie begraben. Ein Haus in Venedig kann nicht so einer restauriert werden. Man kann es nicht abreißen und einen modernen Klotz bauen. Das Haus steht praktisch unter Denkmalschutz. Oftmals müssen extra angefertigte Materialien für eine Restauration auf die Insel geschleppt werden – und das kostet. Um einen Kredit kommen die meisten dann nicht mehr herum.

Hinzu kommt, dass der Wasserpegel unaufhörlich steigt. Große Kreuzfahrtschiffe, die bis vor Kurzem noch einfahren durften, haben durch ihren Wellengang zahlreiche Spuren an den Häusern, Treppen und Brücken hinterlassen. Das Wasser umspült die Gemäuer, diese werden nass, porös, bröckeln und gehen schließlich mit den Fluten unter.

Nicht zu vergessen ist, dass Venedig den Touristen gehört, die ebenso Zerstörung bringen. Einheimische beschweren sich, dass sie kaum noch normale Preise finden, alles ist überteuert, man hat kaum noch Ruhe und immer mehr Touristen überrennen in Scharen die kleine verwinkelte Stadt. Aus der einstigen Serenissima ist eine scappacittà, eine Stadtflucht, geworden.

Palermo – die Wiege aller Kulturen

So verschieden wie alle Städte und Dörfer in Italien sind, mit ihren Höhen und Tiefen, ihrem Glanz und ihren Schandtaten, so ist doch eine Stadt in Italien ganz anders: Palermo.

In Palermo existiert zweifelsohne die Mafia, es gibt genügend Attentate und Titelseiten von Zeitungen, die dies immer wieder belegen. Aber Palermo ist vielmehr ein gelungener Austausch von Kulturen, ein gelungenes Beispiel für ein Zusammenleben mit allen Religionen.

Dies liegt in seiner Geschichte begründet, denn die Stadt an der Nordküste Siziliens wurde von den Römern, den Griechen, den Arabern, den Normannen, den Anjouren, den Bourbonen und den Piemontesern regiert und bewohnt. Sie alle brachten ihre kulturellen und religiösen Ansichten in die Stadt.

So finden sich heute inmitten Palermos alte baufällige einst pompöse Aristokratenpalazzi, arabische Hinterhöfe mit einer herrlichen orientalischen Fliesenkunst sowie spanische und französische Einflüsse. Es wurde miteinander gelebt und gelitten sowie von einander gelernt. Viel hat sich im Laufe der Jahrhunderte nicht geändert. Auch heute leben in der Großstadt viele Kulturen neben- und miteinander. Die Hilfsbereitschaft und Fürsorge ist groß, immerhin sitzt man im gleichen Boot oder besser gesagt auf der gleichen Insel.

Eine Reise nach Italien ist mehr als nur Urlaub

Italien ist also mehr, als dass, was man heute sieht. Wer das Land verstehen möchte, muss sich also mit vielen Ereignissen der Vergangenheit auseinandersetzen, eine Reise nach Italien machen, die sich im Raum und auch in der Zeit vollzieht.